Geschlechterverhältnisse im Wandel … und die Rolle der Erwachsenenbildung?

August 2017

Geschlechterkampf ums Abendland?

Mag.a Eva Taxacher

Frauenservice Steiermark | GenderWerkstätte

Die österreichische Gesellschaft ist derzeit spürbar im Wandel. Die verstärkten Migrationsbewegungen nach Mitteleuropa seit dem Sommer 2015 haben Auswirkungen auf unser (Er)Leben und Zusammenleben. In der medialen Öffentlichkeit wird Migration und Flucht häufig mit Worten wie „Flut, Strom, Welle“ in Verbindung gebracht; Sprachbilder, die an Naturkatastrophen erinnern und Bedrohungsszenarien nahelegen.

In Berichterstattungen werden Ängste geschürt. Ängste vor möglichen Rückschritten in der Gleichstellung der Geschlechter, vor (religiöser) Radikalisierung, Terror, Gewalt, kurz: Ängste vor dem Verlust von sozialem Frieden und Zusammenhalt.  Seit der Silvesternacht auf 2016, in der Frauen in Köln und anderen Städten Deutschlands und Österreichs sexualisierte Gewalt und Belästigungen im öffentlichen Raum erlebt haben, hat die Debatte um „Migration & Geschlechtergerechtigkeit“ das Zentrum der medialen Aufmerksamkeit erreicht – und dieses seither nicht mehr verlassen. Die öffentlichen Stellungnahmen dazu sind vielfach polarisierend. Es scheint nur ein „entweder – oder“ zu geben.

Es wird zunehmend schwierig differenzierte Meinungen zu äußern, zu groß ist die Gefahr als „politisch unkorrekt“ oder „rassistisch“ wahrgenommen zu werden, zu leicht wird Differenzierung auf der anderen Seite als „Naivität“ und „falsche Toleranz“ dargestellt. Zu sagen, dass das Thema komplex ist und deshalb eindeutige Antworten oft zu kurz greifen, wird als „Ausweichen“, „Schweigen“ oder gar „Feigheit“ gewertet. Schnelle, einfache Aussagen sind gewünscht.

Viele „heiße“ Themen im Diskurs zu Migration & Integration – wie die Debatte rund um „Kopftuch“ und „Verschleierung“, die Problematisierung migrantischer Männlichkeiten, Zwangsehe, Ehrenmord, u.v.m. – haben einen starken Gender-Aspekt. Meist werden diese Themen aber nur oberflächlich diskutiert und die Debatten hinterlassen ein Gefühl der Ohnmacht und des Nicht-Sagbaren.

Was kann Erwachsenenbildung beitragen?

Die Herausforderungen, denen sich Österreich und Europa als Einwanderungs- oder Migrationsgesellschaften gegenüber sehen, bilden sich auch in der Bildungsarbeit ab. Häufig sind auch ErwachsenenbildnerInnen selbst in (Bildungs)Situationen mit diesen Themen konfrontiert. Homogene Lerngruppen sind zunehmend die Ausnahmen. Eine große soziale Vielfalt wird sichtbar; Unterschiede bezüglich Herkunft, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung, psychische und physische Fähigkeiten.

In der Teamleitung, im Training oder im Bildungsmanagement ist es eine grundlegende Qualitätsanforderung, die Partizipation aller zu fördern und zu ermöglichen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede sollen wahrgenommen und reflektiert werden, ein konstruktiver Umgang gezielt angeleitet und gemanagt werden.

Die Bildungsarbeit kann damit einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung einer freien demokratischen Gesellschaft leisten.

Dialogische Bildungsangebote am Beispiel „Gender – Diversität – Intersektionalität“

Mehr denn je braucht es deshalb Bildungsangebote, die eine offene, dialogische und undogmatische Auseinandersetzung ermöglichen.

„Dialog ist nicht beliebig, sondern geht von Standpunkten und Positionen aus. Diese Positionen sind aber nicht Ausdruck von dogmatischer Erstarrung, sondern stellen sich der Herausforderung, sich mit der eigenen Widersprüchlichkeit bewusst zu befassen. Das macht den Dialog dialektisch, sodass ein Lerndialog entsteht, in dem alle etwas lernen und jede/r zum LehrerIn des/der Anderen wird.“ (Gerald Faschingeder, 2012: Radikal dialogisch. Reflexionen zum Globalen Lernen aus der Perspektive der Pädagogik Paulo Freires. http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/12-16/meb12-16.pdf)

Ein Beispiel für ein solches Bildungsangebot ist der Lehrgang „Gender – Diversität – Intersektionalität“, den die GenderWerkstätte[1] anbietet. Der modulare Lehrgang vermittelt in sechs Modulen zentrale theoretische Grundlagen, die stets in Verbindung zur praktischen Umsetzung gebracht werden.

Inhalte der Module sind u.a. Geschlechtergerechte Sprache, Modelle und didaktische Möglichkeiten jenseits des Zwei-Geschlechter-Modells, Analyse und Umgang in schwierigen Gesprächssituationen, Anti-Feminismus und Anti-Genderismus, Strategien für konstruktive Diskussionen, Kompetenzen für die Bildungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft, Geschlechterverhältnisse im Kontext von Migration und Integration (Umgang mit „heißen“ Themen), Gender Equality & Diversity Management als Change Prozesse oder Gender & Diversity als Qualitätskriterien.

Der Lehrgang ist mit 10 ECTS von der wba akkreditiert und schließt mit dem Zertifikat zur Gender Beraterin / zum Gender Berater im eigenen Berufsfeld, in der eigenen Profession ab. Er richtet sich an Interessierte aus der Erwachsenenbildung, Universitäten, Forschung, Arbeitsmarktpolitik, Öffentlichkeitsarbeit, Sozialbereich, frauen- oder männerspezifischer Arbeit und an (zukünftige) Frauen-, Gleichstellungs- oder Gender & Diversity-Beauftragte.

Die Vision im Hintergrund ist – um mit Carolin Emcke, Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, zu sprechen: „Eine freie, säkulare, demokratische Gesellschaft ist etwas, das wir lernen müssen. Immer wieder. Im Zuhören aufeinander. Im Nachdenken über einander. Im gemeinsamen Sprechen und Handeln. Im wechselseitigen Respekt vor der Vielfalt der Zugehörigkeiten und individuellen Einzigartigkeiten. Und nicht zuletzt im gegenseitigen Zugestehen von Schwächen und im Verzeihen.“

(Carolin Emckes Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises 2016 http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/1244997)

Weitere Informationen:

www.genderwerkstaette.at | genderwerkstaette@genderwerkstaette.at  

Mag.a Eva Taxacher

Frauenservice Steiermark | GenderWerkstätte

[1] Die GenderWerkstätte ist eine Kooperation von Verein Frauenservice Graz und Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark (vormals Männerberatung Graz) mit externen Expert_innen.