Mitarbeiter/innen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung
Wie barrierefrei ist die Erwachsenenbildung? Und wie hoch ist die Bereitschaft der Bildungseinrichtungen, Menschen mit Behinderung als MitarbeiterInnen einzustellen?
Im Rahmen des Kooperationsprojekts „Barrierefreie Erwachsenenbildung“ haben Bildungsnetzwerk Steiermark und Lesezentrum Steiermark eine Umfrage in Bildungseinrichtungen und Bibliotheken durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen deutlich: die Bereitschaft, Menschen mit Behinderung als MitarbeiterInnen einzustellen ist gundsätzlich gegeben. Als Voraussetzung für die Arbeit im Feld der Erwachsenenbildung scheint „nur“ die entsprechende berufliche Qualifikation ausschlaggebend.
Warum arbeiten aber dennoch verhältnismäßig wenige Menschen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung? Diese Frage war Anlass, genauer hinzusehen und nachzufragen.
Die wba (Weiterbildungsakademie Österreich, www.wba.or.at) zertifiziert und diplomiert ErwachenenbildnerInnen, bestätigt also die berufliche Qualifikation für die Tätigkeit in der Erwachsenenbildung. Wir haben Karin Reisinger, die Leiterin der Geschäftsstelle der wba, um ihre Sicht zu Barrierefreiheit und MitarbeiterInnen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung gebeten.
Margit Gusenbauer arbeitet als Dipl. Coach und Peer-Beraterin in Oberösterreich (www.peer-gusenbauer.at). Sie hat 2013 als erste „Erwachenenbildnerin mit Behinderung“ die wba als „zertifizierte Erwachenenbildnerin“ abgeschlossen. Ihre Behinderung: Sie hat eine Hörschwäche. Wir haben Margit Gusenbauer nach ihrer Motivation, ihren Erfahrungen und den Barrieren, denen sie auf ihrem Weg zur zertifizierten Erwachsenenbildnerin begegnet ist, gefragt.
MitarbeiterInnen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung – die Sicht einer Erwachsenenbildnerin
Frau Gusenbauer, Sie arbeiten in der Beratung und im Coaching auch mit und für Menschen mit Behinderung. Was motivierte Sie persönlich dazu, in der Erwachsenenbildung tätig zu werden?
Meine persönliche Vision und Motivation ist es, Bildungseinrichtungen und ihren BesucherInnen das notwendige Know-how zu vermitteln, so dass Menschen, die mit Höreinschränkungen leben, bestmöglich am Bildungsangebot teilnehmen können. Denn die Gruppe der „schwerhörigen“ Menschen, also alle, bei denen sich das Hörvermögen im Laufe des Lebens verschlechtert, wird immer größer (statistisch gesehen ist jede/r fünfte betroffen!). Die Freude an der Arbeit mit Menschen, die Möglichkeit hilfreich und unterstützend tätig zu sein und so manche Brücken zu bauen, ist meine Motivation in der Erwachsenenbildung tätig zu sein.
Sie haben für Ihren Weg in die Erwachsenenbildung die wba (Weiterbildungsakademie Österreich) gewählt. Wie waren Ihre Erfahrungen beim Absolvieren der wba?
Ausgesprochen gut! Meine wba-Betreuerin, die mir offenherzig begegnete und mich stets rasch und unkompliziert mit hilfreichen Infos unterstützte, war sehr kompetent und entgegenkommend. Außerdem war für mich die Möglichkeit, eine Wertschätzung für die Kompetenzen zu bekommen, die ich bisher eher lose angesammelt hatte, etwas ganz Besonderes! Die Idee der wba, Menschen zu ermuntern sich mit ihren Kompetenzen auseinander zu setzen, auch nicht formales Wissen sichtbar zu machen und in Form eines Zertifikats anzuerkennen und dafür Unterstützung und den wertschätzenden Rahmen zur Verfügung zu stellen, hat mich persönlich begeistert und sehr gestärkt.
Der Weg über die wba ins Arbeitsfeld der Erwachsenenbildung ist demnach für Sie ein empfehlenswerter?
Jedenfalls. Die wba ist für mich ein wichtiger Baustein meines persönlichen Bildungsweges. Durch die Zertifizierung konnte ich meine Auftragslage verbessern. Darüber hinaus war dieser Weg für mich bereichernd. Ich bekam Zugang zu interessanter Literatur, konnte Seminare besuchen, die meinen Horizont erweiterten und es ergaben sich neue Kontakte. Also ist der Weg jedenfalls empfehlenswert.
Gab es auf Ihrem Weg zur Zertifizierung besondere Herausforderungen, Hürden oder Barrieren?
Vor meinem Start waren für mich zwei Punkte besonders wichtig: Einerseits die Ermunterung der Fachbereichsleitung, diese Chance zu ergreifen, andererseits abzuklären, ob die Rahmenbedingungen überhaupt so sind, dass ich teilnehmen kann! Nachdem bei mir eine Hörschwäche vorliegt, ist im Zuge von Seminaren und bei sämtlichen Veranstaltungen immer die gleiche ausschlaggebende Frage: Wie ist der Ort und das Setting? Kann ich es schaffen, dort genug zu hören, so dass ich mitkommen und mitarbeiten kann? Herausforderung dabei ist, immer schon im Voraus und jedes Mal wieder dem/der VeranstalterIn, der Haustechnik, den Vortragenden, den TeilnehmerInnen,… meine Situation darzulegen und darauf zu hoffen, auf offene Ohren zu stoßen. Hürden sind dabei oft fehlende räumliche oder technische Ausstattungen (Induktionsanlagen, Mikros,…) bzw. das mangelnde Wissen über deren Anwendung, Notwendigkeit und Möglichkeiten. Auf Barrieren stoße ich, wenn z.B. Vortragende oder TeilnehmerInnen es ablehnen ein Mikrofon zu verwenden, oder wenn die Situation keinen Sichtkontakt zum/zur SprecherIn zulässt, oder wenn ein gutes Hörvermögen Voraussetzung für die Teilhabe ist (Hörbeispiele, Übungen mit geschlossenen Augen, in Bewegung,…). Die Klärung vorab war für mich jedenfalls sehr wichtig. Indem ich meine Bedürfnisse und Bedenken preisgab, ließ sich mit Hilfe der wba-Betreuerin und den Seminarleiter_innen vieles unkompliziert abklären und ich konnte mit einem guten Gefühl starten.
Gab es überraschend Positives?
Ich erntete viel Entgegenkommen! Habe ich die Möglichkeit zu erklären was ich brauche, so dass die Menschen meine Bedürfnisse verstehen können, ist es immer wieder erstaunlich für mich wie entgegenkommend die Menschen sind und ich bin happy, dass ich teilhaben darf!
Was empfehlen Sie Menschen mit Behinderung(en), die sich überlegen, im Bildungsbereich arbeiten zu wollen?
Ob im Bildungsbereich oder anderswo: es ist wichtig zu formulieren, was genau man braucht. Nach meiner bisherigen Erfahrung halte ich es für unumgänglich, die eigenen Bedürfnisse formulieren und beispielhaft darlegen zu können. Das schafft Klarheit für alle Beteiligten. Wenn sich jemand nicht über ein vorliegendes Hörproblem zu sprechen traut, sorgt das in jedem Fall für Verunsicherung. Und zwar bei allen: bei Vorgesetzten, bei KollegenInnen, bei der Lerngruppe,… und gefährdet Beziehungen, Zusammenarbeit und Lernerfolg. Es können dadurch z.B. Fragen nicht richtig beantwortet werden oder es entstehen Missverständnisse. Im Falle eines/r schwerhörigen KursleiterIn oder KursteilnehmerIn kann z.B. schon bei der Vorstellung eingebracht werden: „Es ist mir wichtig, Sie noch darauf hinzuweisen, dass ich nicht gut höre. Es ist für mich hilfreich, wenn immer nur eine Person spricht und bitte geben Sie vor Wortmeldungen zusätzlich ein Handzeichen“. Je konkreter formuliert wird, was es braucht, desto besser wird es klappen. Um so etwas ohne Unsicherheiten vorzubereiten, kann man z.B. ein Coaching in Anspruch nehmen. Zusätzlich ist es günstig, die Rahmenbedingungen (bauliche, technische,…) zu prüfen. Gegebenenfalls um einen anderen Raum bitten, eigene Vorschläge zur Umgestaltung oder auch die Bitte nach Modifikation von Arbeitsabläufen einbringen (z.B. sich um die Anschaffung von Hilfsmitteln zu kümmern oder eine Umstellung von Telefon- auf E-Mail-Verkehr vorzuschlagen, wenn das Hörvermögen Telefonate nicht zulässt).
Was ist Ihrer Meinung nach der Grund, warum noch so wenige Menschen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung tätig sind? Und was empfehlen Sie Bildungseinrichtungen oder Bibliotheken, die sich überlegen, Menschen mit Behinderung einzustellen?
Nach meiner Meinung ist für Menschen mit Behinderungen die höchste Barriere die, in den Köpfen der Menschen nicht vorzukommen, also von vorneherein gar nicht in Erwägung gezogen zu werden. Lassen Sie Betroffene zu Wort kommen! Laden Sie bei jeder Ausschreibung Menschen mit Beeinträchtigungen ein, sich zu bewerben. Fragen Sie in den Vorstellungsgespräche nach den Fähigkeiten und Ressourcen. Sprechen Sie Ihre Vorstellungen/Erwartungen/Befürchtungen aus und bieten Sie Flexibilität, wenn es die Situation erfordert (z.B. bei Arbeitszeiten oder Arbeitsabläufen). Fakt ist: Selbst bei gleicher Qualifikation bleibt, dass ein Mensch mit Behinderung situationsbedingt anders handelt oder reagiert. Es sind oft nicht großen Barrieren das Problem, sondern eher die zwischenmenschlichen Kleinigkeiten des beruflichen Alltags, die herausfordern und bewältigt werden müssen. Z.B. wenn KollegInnen sauer sind, weil Schwerhörige nicht zum Telefondienst eingeteilt werden, weil Muskelkranke nie einfach geschwind einen Akt von anderen Stockwerken holen können oder Rolli-BenutzerInnen häufig ungenau kommen, weil der Fahrtendienst oft unpünktlich ist. Darüber muss es aufklärende Gespräche oder auch Gegengeschäfte geben, damit das Miteinander für alle klappen kann. Meine ganz persönliche Vision ist, dass in jeder Abteilung, in jedem Stockwerk, in jeder Ausbildung, in jedem Seminar sich Menschen mit und ohne Beeinträchtigung begegnen. Ich halte jede Separierung im Bildungs-, Berufs- und Alltagsleben für falsch. Das Ergebnis davon ist ja diese spürbar große Scheu im Umgang miteinander, weil nicht in direktem Austausch voneinander gelernt werden kann!
Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer erwachsenenbildnerischen Arbeit und was sind Ihre größten Wünsche für eine barrierefreiere Erwachsenenbildung?
Ich erlebe den Bildungsbereich als positives und wertschätzendes Tätigkeitsfeld in dem sich vielfältig interessierte Menschen tummeln, die auch viel Offenheit Neuem gegenüber mitbringen. Was ich mir wünsche ist mehr Barrierefreiheit im Sinne eines unkomplizierten Umgangs miteinander. Z.B. weniger Scheu der ErwachsenenbildnerInnen im Umgang miteinander. Ich wünsche mir viele ErwachsenenbildnerInnen, die selbst mit einer Behinderung leben. Und ein offensives und öffentliches Werben der AnbieterInnen und Einrichtungen für die Zielgruppe der Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen.
Mitarbeiter/nnen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung – die Sicht der Weiterbildungsakademie Österreich
(Karin Reisinger, Leiterin der wba-Geschäftsstelle)
Die wba ist eine Erwachsenbildungseinrichtung, die vorhandene Kompetenzen über die Bewertung von eingereichten Portfolios anerkennt. In der wba können Erwachsenenbildner/innen ihre beruflichen Kompetenzen nachweisen und zu einem anerkannten Zertifikat und Diplom bündeln. Dafür müssen sich alle Erwachsenenbildner/innen dem gleichen Standard (festgeschrieben im wba-Curriculum) unterziehen.
Ein wesentlicher Grundsatz der wba, der auch in ihrer Qualitätspolitik niedergeschrieben ist, ist die Zugänglichkeit für alle, die den Kriterien der Zielgruppe entsprechen. Die Zugangsvoraussetzungen zur wba sind dabei klar geregelt und setzen ausschließlich erwachsenenbildnerische Praxis und eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen über das Pflichtschulniveau hinausgehenden Schulabschluss voraus. Wie offen und barrierefrei ist die wba nun aber wirklich, insbesondere in Bezug auf Personen, die durch eine Behinderung auf Hürden stoßen, die für andere per se nicht augenscheinlich sind?
Nachdem die wba in erster Linie virtuell ausgerichtet ist und die Kommunikation weniger im persönlichen Kontakt als über Internet, E-Mail und Telefon bewerkstelligt wird, soll auf die baulichen Maßnahmen nur insofern eingegangen werden: es gibt nur wenige Präsenztermine in der wba – einzig die Zertifizierungswerkstatt ist verpflichtend am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (bifeb) zu besuchen. Das bifeb) ist seit 2013 barrierefrei gestaltet.
Wie sieht es nun aber mit einer barrierefreien Kommunikation und Information der wba aus?
Die WAI-Kriterien lassen sich nur bedingt auf die wba-Website umlegen. Dafür aber ist der Informationsgehalt der Website hoch. Die einzelnen Abläufe lassen sich gut nachlesen. Unterstützend arbeitet die wba gerade an einem Kurzfilm, in dem gezeigt wird, wie die Anmeldung zur wba und die Einreichung des persönlichen Portfolios erfolgen. Wesentlich aber, sowohl für Personen mit als auch ohne Behinderung, ist die persönliche Beratung und Begleitung. Jede/r Teilnehmer/in bekommt auf ihrem/seinem Weg durch die wba eine wba-Beraterin zur Seite gestellt, die Fragen klärt und anleitet. Die wba-Beraterin ist dabei immer um individuelle Lösungen bemüht. Dies betrifft insbesondere auch den Umgang mit Handicaps, für die Einzellösungen gesucht werden. Mit dieser Hilfestellung lassen sich viele Hürden aus dem Weg räumen.
Die wba ist stark visuell ausgelegt. Es sind viele Texte zu lesen und Informationen zu verarbeiten. Für Menschen mit starker Sehbeeinträchtigung kann dies ein Manko sein. Wo jedoch Abhilfe geschafft werden kann, ist die wba jedenfalls darum bemüht. Ganz besonders auch deshalb, weil gerade Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich von ihrem Handicap nicht aufhalten lassen und sich als Erwachsenenbildner/innen engagieren, meist in besonderem Maße über hohe soziale und personale Kompetenzen verfügen – absolute Schlüsselfähigkeiten, die Erwachsenenbildner/innen für ihre Aufgabe brauchen! Insgesamt gibt es zu wenige Erwachsenenbildner/innen, die trotz Beeinträchtigung lehrend, beratend, im Management von Erwachsenenbildungseinrichtungen oder in öffentlichen Bibliotheken tätig sind. Der Umgang mit besonderen Bedürfnissen verlangt danach, diese gut mitteilen zu können, wie Frau Gusenbauer zeigt. Auf der anderen Seite ist Offenheit und Rücksichtnahme nötig. Hier sind Bildungseinrichtungen aufgefordert, stärker als bisher Kooperationen mit Menschen mit Behinderung einzugehen, sich proaktiver für Knowhow im Bereich Barrierefreiheit und um gangbare Lösungen zu bemühen.
Als Einrichtung, die Standards vorgibt und somit an einer Professionalisierung der Erwachsenenbildung mitbeteiligt ist, schätzt die wba Multiplikator/innen, Einrichtungen und Erwachsenenbildner/innen, die den Gedanken der Erwachsenenbildungsprofessionalisierung leben. Professionalisierung heißt für die wba unter anderem auch, soziale und personale Kompetenz ins Zentrum zu stellen, Menschen umfassend wertzuschätzen und verständlich, teilnehmend und Grenzen berücksichtigend zu kommunizieren.
Erfahrungen mit ambitionierten wba-Absolvent/innen wie Frau Gusenbauer haben gezeigt, dass gerade Menschen mit Handicaps als Multiplikator/innen eine wichtige und wertvolle Arbeit in der Erwachsenenbildung leisten und beispielgebend sind.
Zwei überaus positive und motivierende Sichtweisen
Immer wieder ist jetzt aber zu hören und zu lesen, dass Barrierefreiheit und Konzepte inklusiven Denkens und Handelns „implementiert“ werden müssen – den gesetzlichen Anforderungen folgend. Gesetzliche Rahmen sind wichtig, aber echte Entwicklungsschritte in Organisationen können nur aus eigenem Antrieb heraus passieren. Eine Anordnung, dass mehr Menschen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung zu arbeiten haben, hilft wenig.
Zudem lässt sich die Tatsache, dass noch relativ wenige Menschen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung tätig sind, nicht nur durch Barrieren, die Bildungseinrichtungen (noch) nicht beseitigt haben, begründen. Die „Barrieren im Kopf“ bestehen auch bei Menschen mit Behinderung selbst, die den Schritt zur Weiterbildung, zur Aneignung entsprechender Qualifikationen nicht wagen bzw. bislang noch nicht gewagt haben.
Der Weiterbildungsbereich ist wie kaum ein anderer bereits darin geübt, sich auf gesellschaftlichen und sozialen Wandel und wechselnde prioritäre Themen einzustellen und sich dabei flexibel zu zeigen. Unterstützend für eine tatsächlich barrierefreiere Erwachsenenbildung können
- das Aufzeigen und bewusst machen von Möglichkeiten und Grenzen von Barrierefreiheit,
- gegebenenfalls spezifische Weiterbildungsangebote,
- adäquate Förderschwerpunkte,
- und Motivation durch das Aufzeigen guter Beispiele bereits gelebter Inklusion wirken.
Vielen Dank an Margit Gusenbauer und Karin Reisinger für dieses „good-practice“ Beispiel gelebter Inklusion in der Erwachsenenbildung!